Offener Brief an die (Dresdner) Linke
Wenn Ermittlungsbehörden nach § 129 StGB (kriminelle Vereinigung) ermitteln, verfolgen sie damit verschiedene Ziele.
Zum einen wollen sie eine Szene durchleuchten und möglichst viele Informationen über ihr Funktionieren sammeln, also den Aufbau sozialer Netzwerke und Strukturen, die Aktionen organisieren. Dabei suchen sie sich einzelne Personen heraus, um diese exemplarisch für die Szene zu kriminalisieren und öffentlich als gewaltbereite Extremist_innen darzustellen. Ihre politischen und emanzipatorischen Ideen werden somit gegenüber dem Rest der Gesellschaft als gefährlich dargestellt.
Die Beschuldigten, unter denen dann ggf noch sogenannte Anführer_innen konstruiert werden, sollen dabei mit Hilfe eines enormen Repressionsapparates politisch und sozial isoliert sowie eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden. Diese repressive Strategie des Staates, gegen unliebsame Kritiker_innen vorzugehen, ist allumfassend in der Auswirkung und belastet Menschen stark.
Zum anderen wollen die Ermittlungsbehörden gemeinsame Proteste und Organisierungspotential in „gute“, „demokratische“ und „böse“, „extremistische“, spalten. Auf eine solche Weise wird zB mit Aktiven im Zusammenhang mit den Antinazi-Protesten in Dresden umgegangen: Während Viele in der Regel mit geringen Strafen davon kommen, wird bei einigen Wenigen hart durchgegriffen. Dadurch soll erreicht werden, dass sich Menschen von bestimmten Aktionsformen oder politischen Gruppen lossagen.
Leider finden auch im Zuge der §129-Ermittlungen in Dresden verschiedene Formen der Entsolidarisierung statt.
Manche Situationen scheinen eher klein und unbedacht …
Prinzipiell sollte allen klar sein, dass die aktuelle Situation der Dresdner Linken von den direkt von Ermittlungen und Repression Betroffenen anders wahrgenommen wird.
Deshalb ist ein sensibler Umgang mit dem Thema eigentlich selbstverständlich. Dumme Sprüche, das ständige Ansprechen der Personen als §129-Beschuldigte, die Konstruktion von Held_innen aufgrund der Ermittlungen und Ähnliches sind fehl am Platz. Stattdessen ist es wichtig, sie in ihren Ängsten, Zweifeln oder Unsicherheiten ernst zu nehmen, zu fragen, wie es geht, zu unterstützen, wenn Bullen dumme Sprüche machen, und den geäußerten Verdacht, überwacht zu werden, nicht als Paranoia abzutun.
… wohingegen andere offen und bewußt stattfinden.
Plädierte Dresden Nazifrei Anfang 2011 für „Solidarität mit allen von Repression Betroffenen“, erschöpfte sich dies im Wesentlichen im Verfassen einer Erklärung. Danach wurde sich inhaltlich nur auf Blockadeprozesse konzentriert und die übliche Rhetorik von friedlichen Protestierenden, die jetzt so böse kriminalisiert werden, obwohl sie doch nur ihre Meinungsfreiheit ausüben, teilweise aufgegriffen. Der sogenannte Aktionskonsens („Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern“) war schnell vergessen und die Menschen, die im Rahmen der Razzia im Haus der Begegnung festgenommen wurden, konnten froh sein, dass ihr Verfahren irgendwann eingestellt wurde. Die Möglichkeit, dieses §129-Verfahren im Rahmen des so breit aufgestellten Bündnisses mit so vielen Unterstützer_innen zu thematisieren und zu skandalisieren, wurde nicht wahrgenommen und damit die Beschuldigten im Stich gelassen.
Doch damit nicht genug. Politisch aktive Strukturen in Dresden schreckten nicht davor zurück, zu versuchen §129-Betroffene bewußt von Aufgaben auszuschliessen und Gruppenzusammenhänge als unsicher zu stigmatisieren. Als Vorwand wurde die Begründung angeführt, dass §129-Betroffene die restlichen Strukturen gefährden würden bzw. Menschen ohne Verfahren schädigen könnten. Diese krasse Art der Entsolidarisierung ist nicht tragbar, ein Schlag ins Gesicht der Beschuldigten und ein Zuspiel für die Ermittlungsbehörden. Damit machen sich diese politischen Zusammenhänge zu Handlangern der staatlichen Repressions- und Kriminalisierungspolitik und helfen bei der politischen und sozialen Isolation der Betroffenen.
Betroffen sind wir ALLE! Immernoch!
Die §129-Ermittlungen laufen seit vier Jahren. Momentan gibt es zwei Verfahren in Dresden mit einmal 5 und einmal 23 Personen, gegen die nach §129 ermittelt wird, sowie ein Verfahren in Leipzig mit 12 Personen. Diese 40 Personen stehen exemplarisch dafür, wie mit antifaschistischen Engagement umgegangen wird, gemeint sind wir alle. Das ist keine Phrase. Um Beschuldigte_r in solch einem Verfahren zu werden, reicht ein Anruf, die Teilnahme an einer Veranstaltung oder der Besuch von Anti-Naziprotesten. Die umfassenden Abhör- und Überwachungsmassnahmen beleuchten die Szene und darüber hinaus. Wir können also nie genau wissen, wer eigentlich wann wie und in welchem Umfang überwacht wird.
Was wir tun können, ist unsere Strukturen und Kommunikationswege sicher zu gestalten anstatt Menschen auszuschließen!
Es benötigt Solidarität, um sich nicht spalten, zerschlagen, isolieren, schwächen und einschüchtern zu lassen!
Kampagne Sachsens Demokratie