Am 12. Juli 2013 organisierte die Kampagne „Sachsens Demokratie“ eine Kundgebungstour in Dresden. Ziel war es, die zahlreichen Anknüpfungspunkte des NSU in Dresden öffentlich zu thematisieren und so dem gern erzählten Märchen vom Trio entgegenzuwirken. Eine Station war das Einkaufszentrum Mälzerei in Dresden-Pieschen und die dort ansässigen Nazi-Geschäfte „OPOS-Records“ und „Never Straight Clothes“. Diese werden von den früheren Blood & Honour (B&H)-Mitgliedern Sebastian Raack und Michael Lorenz betrieben. Insbesondere die sächsische Blood & Honour-Struktur hat Ende der 1990er das Untertauchen der drei Jenaer Nazis Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ermöglicht. Darauf, und auf die Tatsache, dass sich die heutigen Geschäfte nur unwesentlich von den Aktivitäten und Konzepten Blood&Honours unterscheiden, hat die Kundgebung im Juli 2013 aufmerksam gemacht – und bei den Geschäftsinhabern einen Nerv getroffen.
Auf der Kundgebung wurde ein Redebeitrag verlesen, welcher zum einen die Hintergründe des Naziladens erklärt, als auch die Zusammenhänge von B&H mit dem NSU beleuchtet. Die beiden Ladenbetreiber Raack und Lorenz fühlten sich davon verunglimpft und haben nun eine Unterlassungsklage gegen die Person, welche den Redebeitrag verlesen hat, eingereicht. Darin streiten die Nazis ab, dass sie Mitglieder von Blood & Honour waren und dass sie mit ihren Geschäften nationalsozialistische Ideologie verbreiten und Hass schüren würden. Besonders dreist behaupten sie ebenfalls, dass B&H den NSU nicht unterstützt hätte. Die Zuwiderhandlung gegen die Unterlassung ist mit 250.000 Euro Strafe belegt. Außerdem wurde die Rednerin wegen Beleidigung von den Nazis angezeigt. Diese Unterlassungserklärung wurde nicht unterzeichnet.
Die Gründe liegen auf der Hand: es ist nicht hinnehmbar, dass sich Nazis öffentlicher Kritik und Auseinandersetzung mit ihrem Treiben entziehen können.
Ganz klar versuchen sie ähnlich der Staatsanwaltschaft München zu erklären, dass es drei Täter_innen aber kein Netzwerk gab. Die Einzeltäter_innen These stellt den NSU als abgeschlossen agierende Gruppe dar. So kann ignoriert werden, dass es Nazistrukturen gibt, welche auch offensichtlich noch von Geheimdiensten mitfinanziert werden und vor allem, dass es einen gesellschaftlichen Rahmen gibt in, welchem sich genau solche Netzwerke etablieren können.
Wer sind nun also nochmal Sebastian Raack und Michael Lorenz?
Wie bereits erwähnt, sind sie Ladenbetreiber des „Never Straight Clothes“ in der Mälzerei in Dresden-Pieschen mit angeschlossenem Onlineversandhandel und Label „OPOS Records“, welches seit 2007 eines der wichtigsten Nazimusiklabel in Sachsen ist. Das Sortiment erstreckt sich von Klamotten verschiedenster in der Naziszene beliebten Marken bis zu Musik und Merchandise von Bands, vom klassischen Rechtsrock über Liedermacher bis NS-Blackmetal oder NS-Hatecore. OPOS Records war zudem Trendsetter mit NS-Hatecore und hat Bands im Sortiment wie Moshpit, Brainwash oder Hope for the Weak. Michael Lorenz ist Bassist in den genannten Bands und spielt gemeinsam mit Raack bei Outlaw, einer Rechtsrockband aus Südbrandenburg. Beide können auf eine lange Geschichte in der organisierten Naziszene zurückblicken und waren Mitlgieder des Nazinetzwerks Blood & Honour.
Zur Erinnerung: Blood & Honour (Blut und Ehre) wurde in den 80er Jahren von Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der Rechtsrock Band Skrewdriver, in Großbritannien gegründet. Motto des internationalen Netzwerks, das Nazimusik produziert und entsprechende Konzerte veranstaltet, ist „Über Musik zum Kampf“. Und treu diesem Motto gehört zu Blood & Honour ein bewaffneter Arm. Combat 18 propagiert seit den 90er Jahren den „führerlosen Widerstand“, unabhängige Zellen sollen gebildet und Anschläge verübt werden – genau wie es der NSU später tat. Im Jahr 2000 verbot das Bundesinnenministerium die B&H Division Deutschland. Zum Verschwinden gebracht hat das Blood & Honour in Deutschland nicht. Die Strukturen bestanden und bestehen fort, produzieren Musik und veranstalten Konzerte, um nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten und die Szene zu unterstützen.
Das Verbot von B&H tat den Aktivitäten von Raak und Lorenz in der Naziszene keinen Abbruch. Seit Jahren spielen sie in diversen Nazibands und seit 2007 versorgen sie mit eigenem Laden, Label und Onlineversand Nazis mit Musik, Outfit und Accessoires. Mit ihrem OPOS Records und Neverstright Clothes bleiben sie ihrer Linie und dem Motto von Blood & Honour treu. Dabei begreifen sie ihre Musik und ihre Geschäfte explizit als ihren politischen Aktivismus – „our music is just a tool“ heißt es auf Aufklebern. Entsprechend sponsert OPOS Records immer wieder politische Aktionen, so bereits das Aktionsbündnis gegen das Vergessen, das den jährlichen Aufmarsch zum 13. Februar in Dresden veranstaltet, die Volksbücherei Anklam, den Thüringentag, oder auch den JN Sachsentag, beides Open Air Nazi-Festivals.
Was hat das ganze nun mit dem NSU zu tun?
Klar ist, dass der NSU von einem Netzwerk unterstützt wurde, was logistisch, personell und finanziell dazu in der Lage war – und das war Blood & Honour. 1997 liefert Thomas Starke, Führungsmitglied der sächsischen Sektion von Blood & Honour Sprengstoff. 1998 will Jan Werner, ebenfalls Führungsmitglied von Blood & Honour in Sachsen, Waffen besorgen. Liefern sollte die Waffen Carsten Szepanski aus Brandenburg, ebenfalls Blood & Honour. Und Ausweispapiere für Zschäpe wollte Antje Probst aus Limbach-Oberfrohna stellen, ebenfalls Blood & Honour Sachsen.
Und noch etwas ist auffällig: Im Herbst 1998 löste sich die sächsische Sektion von Blood & Honour unter Führung von Starke und Werner auf. Grund soll ein Streit um Geld mit der Bundesführung gewesen sein. Es war aber nur wenige Monate nach dem Abtauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Ihr erster Weg hatte sie nach Chemnitz geführt und hier wurden sie von den B&H Strukturen unterstützt. Die alte Sektion löste sich also zu einem Zeitpunkt auf, als mindestens drei ihrer führenden Mitglieder in die aktive Unterstützung der drei Jenaer gegangen waren – Starke, Werner und Probst. War die Auflösung der sächsischen B&H Sektion eine bewusste Finte, um die drei Untergetauchten nicht durch Ermittlungen gegen B&H zu gefährden? Der Zusammenschluss der ehemaligen Sektion bestand jedenfalls unabhängig von B&H weiter und setzte seine Aktivitäten wie gewohnt fort. 1999 wurde parallel eine neue Sektion eingesetzt.
Das alles zeigt: Der NSU war kein auf sich allein gestelltes Trio, sondern konnte zurückgreifen auf ein internationales Nazinetzwerk, was sie tatkräftig unterstützte.
Anti-Antifa ein Konzept von Combat 18!
Eine weitere Dimension, die dieses Verfahren wieder einmal zeigt, ist das gezielte Vorgehen von Nazis gegen Antifaschist_innen mit Hilfe von Anzeigen. Bereits 2007 hatte das a.l.i.a.s. dresden in einer Pressemitteilung auf diese Strategie hingewiesen, als die sogenannte Anti-Antifa-Akte auftauchte. Nazis machen Anzeigen, um persönliche Daten von antifaschistisch aktiven Menschen zu bekommen, um diese dann wiederum dazu zu nutzen, sie einzuschüchtern und zu bedrohen – bis hin zu körperlicher Gewalt. Bereits 2002 hat das Zine Stormer von Combat 18 veröffentlicht: „Die Leute von euch, die bereits geoutet sind, sollen bei passender Gelegenheit Anzeige gegen die Linken stellen. Dann über Anwalt Akteneinsicht beantragen und auswerten. Darüberhinaus erhöht es auch die Straftatenstatistik der Linken…“ In der 2007 aufgetauchten sogenannte Anti-Antifa-Akte fanden sich Information über 150 Menschen, ein großer Teil waren Informationen aus Ermittlungsakten.
Es ist absurd, wenn Nazis versuchen, den Zusammenhang von Nazimusik und Gewalttaten und Übergriffen zu leugnen, ist doch genau das die Idee hinter Blood & Honour gewesen, durch Musik Ideologie zu vermitteln.
Wir lassen uns nicht verbieten den Zusammenhang von Blood & Honour und dem NSU als das zu bennenen, was es war: ein Unterstützer*innennetzwerk. Auch nachdem B&H verboten wurde, gab es eindeutige personelle Kontinuitäten in der Unterstützung des NSU. Gerade ehemalige Mitglieder von B&H müssen sich deshalb die Frage gefallen lassen, was sie über den NSU wußten. Und es ist nicht zuletzt die Verantwortung einer antifaschistischen Linken, für die Aufklärung des NSU-Komplexes zu streiten und dessen gesellschaftliche Dimension zu thematisieren – erst recht gegen Widerstände von Nazis.
Am 13. März 2014 steht nun der zivilrechtliche Prozess am Amtsgericht Dresden an und wir laden euch alle ein an diesem teilzunehmen.