Als der Sächsische Datenschutzbeauftragte am 9. September seinen Prüfbericht zur sog. Handydaten-Affäre vorlegte, war die Kritik an der massenhaften Erhebung von Daten durch Polizei und Staatsanwaltschaft mehr oder weniger amtlich: Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben, unangemessene Ausmaße, unrechtmäßig, über das Ziel hinausgeschossen, Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und, als besonderes Schmankerl, eine fragwürdige Antragspraxis der Dresdner Staatsanwaltschaft – so werden bereits ausformulierte Beschlüsse dem Ermittlungsrichter vorgelegt, die richterliche Prüfung scheint sich in der Unterschrift zu erschöpfen. Auf 53 Seiten geht der Datenschützer den im Februar durchgeführten Funkzellenabfragen und ihrer Beantragung auf den Grund und mit diesen ins Gericht. Am Ende bleibt ihm nur die förmliche Beanstandung gegen PD Dresden, LKA Sachsen und Staatsanwaltschaft Dresden.
Die Zurückweisung erfolgte prompt und geballt. Zunächst wiesen Staatsanwaltschaft und Innenminister die Kritik zurück. Die Funkzellenabfragen seien rechtmäßig, weil schließlich auf richterliche Anordnung erfolgt. Auch an der Verhältnismäßigkeit gäbe es keinen Zweifel, denn schließlich galt es, schwerwiegende Straftaten aufzuklären. Als nächstes meldete sich die sächsische Richtervereinigung zu Wort und forderte gar eine Entschuldigung des Datenschützers für die von ihm erhobenen Vorwürfe. Man warf ihm im Gegenzug Kompetenzüberschreitung und Beschädigung des Ansehens der sächsischen Justiz vor. Stein des Anstoßes für die Richter war Schurigs Rüge an der Vorlage eines von der Staatsanwaltschaft fertig ausgefüllten Beschlusses zur Datenabfrage, den der Ermittlungsrichter nur noch unterschreiben musste. An diesem Vorwurf sei nun wirklich rein gar nichts dran, schließlich seien ausformulierte Anträge „gängige und von übergeordneten Gerichten unbeanstandete Praxis“ “ – und gleichzeitig die Richterentscheidung trotzdem völlig unabhängig. Es ist natürlich auch viel naheliegender, dass ein Ermittlungsrichter mit bekanntermaßen wenig Arbeitsbelastung und viel Zeit einen fertig formulierten Beschluss in den Wind schießt und lieber noch ein paar Aktenberge wälzt, Gesetze und Kommentare konsultiert, ausgiebig abwägt und so letztlich eine Entscheidung trifft, die dem Sinn des Richtervorbehalts entspräche. So sieht es offenbar der sächsische Richterverband; und weil der Datenschützer dies in seinem Bericht implizit in Frage stellte, warfen sie ihm Missachtung der Unabhängigkeit der Justiz und des Gewaltenteilungsprinzips vor. Entsprechend dieser Grundsätze bezieht sich Schurig in seinem Bericht auch ausschließlich auf Polizei und Staatsanwaltschaft und nimmt explizit keine Wertung der richterlichen Entscheidungsfindung und Beschlüsse vor. Sehr wohl nimmt er sich aber das Recht heraus, und das ist auch seine Aufgabe, den Weg zu diesen, nämlich polizeiliche Anregungen und staatsanwaltschaftliche Anträge zu bewerten. Nichtsdestotrotz stieß der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden in dasselbe Horn und attackierte das Gutachten des Datenschützers hart. Er hätte „mittelbar gerichtliche Entscheidungen kontrolliert“ und damit gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen. „Meine Verantwortung für die Dritte Staatsgewalt und meine Fürsorgepflicht gegenüber den Richtern gebietet, Ihrem Einwirken in den justiziellen Kernbereich mit Entschiedenheit entgegenzuwirken“, tönte der OLG-Präsident gegen Schurig. Um diesen Vorwürfen die wissenschaftliche Fundierung zu verleihen, präsentierte der Innenminister pünktlich zur Landtagsdebatte am 14. September ein Gegengutachten des Verfassungsrechtlers Ullrich Battis. Zwar räumte er recht schnell ein, überhaupt keinen Einblick in die dafür notwenigen Unterlagen wie Schurig gehabt zu haben, dennoch besteht er darauf, dass Schurig in seinem Bericht den Grundsatz der Gewaltenteilung verkenne und die Funkzellenabfragen im Grundsatz verhältnismäßig und rechtmäßig gewesen seien. Dieses von Ulbig in Auftrag gegebene Gutachten als Gefälligkeitsgutachten zu betrachten, liegt nahe, zumal es insgesamt durch 35 Seiten weitestgehende Inhaltsleere und Substanzlosigkeit glänzt.
Die geballten Angriffe auf Schurig zeigten dennoch recht deutlich, dass sein Bericht durchaus getroffen hat. Nur Konsequenzen sollte man keine erwarten. Wie ernst ein Datenschutzbeauftragter von Vertretern jener Institutionen genommen wird, für deren Kontrolle er zuständig ist, demonstrierte eindrucksvoll Generalstaatsanwalt Fleischmann im Interview mit der Sächsischen Zeitung. Er behauptet, „Schurig ist für seinen Vorwurf bisher jeglichen Nachweis schuldig geblieben und […] versucht mit einer nicht überzeugenden Begründung, die beantragenden Staatsanwälte einer Gesetzesverletzung zu bezichtigen. […] Ich vermisse letztlich die gebotene Objektivität. Herr Schurig bewegt sich offensichtlich auf einem für ihn fremden Gebiet, für das er zudem gar nicht zuständig ist.“
Der Bericht
Der Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig trägt den sperrigen Namen: „Bericht zu den nichtindividualisierten Funkzellenabfragen und anderen Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung durch Polizei und Staatsanwaltschaft Dresden in Bezug auf den 13., 18., und 19. Februar 2011 in Dresden“. Glücklicherweise sind die 53 Seiten zu den durchgeführten Maßnahmen und deren Bewertung nicht so kompliziert formuliert wie der Titel. Ausgehend von einer Zusammenfassung grundlegender rechtlicher und technischer Informationen zu Funkzellenabfragen nach §100g StPO, zu Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO, zu IMSI-Catcher nach §100i StPO, zu eFAS und zu Benachrichtigungspflichten nach § 101 Abs. 4 StPO legt er dar, welche Maßnahmen und in welchem Umfang seitens der SoKo 19/2 der PD Dresden und seitens des LKA Sachsen jeweils durchgeführt worden sind und bewertet diese anhand der dafür maßgebenden rechtlichen Grundlagen.
Faktisch gehen die dargelegten Informationen zu den durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen nicht über den bisherigen öffentlichen Wissensstand hinaus. Einzig die Anzahl der durch das LKA beantragten FZAs und deren Umfang konnten noch einmal präzisiert werden (siehe Chronologie). Von größerem Interesse ist hingegen die Bewertung der Maßnahmen durch den Sächsischen Datenschutzbeauftragten vor dem Hintergrund der einzuhaltenden rechtlichen Bestimmungen beim Einsatz solcher Mittel. So benennt Schurig bereits einleitend die FZAs am 13., 18. und 19. Februar 2011 als „zum Teil rechtswidrig, insb. auch unverhältnismäßig“ (S. 3).
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte kommt zu folgendem Schluss:
„Die Funkzellenabfrage der „SoKo 19/2“ schoss über das Ziel hinaus. Eine über die zeitliche und örtliche Beschränkung hinausgehende Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist nicht erkennbar. Selbst der in diesen Beschränkungen zum Ausdruck gekommene Ansatz wurde durch die Übernahme der Daten des LKA ad absurdum geführt. Allerdings war ein Konzept zur Reduzierung der erhobenen Daten auf das zur Strafverfolgung erforderliche Maß vorhanden.
Die Funkzellenabfragen des LKA Sachsen am 18. und 19. Februar 2011 in Dresden schossen weit über das Ziel hinaus. Bereits die zeitlichen und örtlichen Ausmaße waren nicht angemessen. Auch eine darüber hinausgehende Prüfung der Verhältnismäßigkeit war nicht erkennbar. Ein Konzept zur Reduzierung der Daten auf das erforderliche Maß war nicht vorhanden.
Ich habe deshalb die PD Dresden (SoKo 19/2), das LKA Sachsen und die StA Dresden nach § 29 SächsDSG beanstandet“ (S. 4).
Vorgeschrieben ist, dass FZAs nach § 100g Abs. 2 S. 2 StPO – wie auf Seite 4 des Berichts zusammen gefasst – nur zulässig sind:
– zur Verfolgung erheblicher Straftaten und
– wenn sie zeitlich und örtlich so weit eingegrenzt werden können, dass nicht zu viele Unbeteiligte betroffen sind.
– Darauf und auf die Beachtung der allgemeinen Verhältnismäßigkeit hat der Bundesgesetzgeber größten Wert gelegt: „Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist aber insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit dritte Personen von der Maßnahme mit betroffen werden. Die Maßnahme kann daher im Einzelfall aus Verhältnismäßigkeitsgründen zeitlich und örtlich weiter zu begrenzen sein oder muss unterbleiben, wenn eine solche Begrenzung nicht möglich ist und das Ausmaß der Betroffenheit Dritter als unangemessen erscheint“, vgl. BT-Drs. 16/5846, S. 55.
Genau diesen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sieht Schurig durch die Staatsanwaltschaft Dresden, die PD Dresden und in besonderem Maße durch das LKA Sachsen verletzt. So wurde weder in ausreichendem Maße beachtet noch berücksichtigt, dass die Zahl der zwangsläufig mitbetroffenen Unbeteiligten sehr groß war und dass deren Rechte insbesondere auch deren Grundrechte verletzt würden. Diese Missachtung betraf die Grundrechte aus Art. 10 GG (Fernmeldegeheimnis) hinsichtlich der Telekommunikation aller potentiell Betroffener, aus Art. 5 GG (Meinungsfreiheit) hinsichtlich betroffener Journalisten, Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) hinsichtlich betroffener Versammlungsteilnehmer und Art. 4 GG (Religionsfreiheit) hinsichtlich der im abgefragten Bereich stattgefundenen Mahnwachen. Auch besonders geschützte Personen- und Berufsgruppen (Journalisten, Abgeordnete, Rechtsanwälte, Pfarrer) wurden in die Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit nicht einbezogen. Verhältnismäßigkeitsabwägungen sind schlicht und ergreifend überhaupt nicht in den vom Datenschutzbeauftragten geprüften Unterlagen dokumentiert gewesen und haben demnach höchstwahrscheinlich überhaupt nicht stattgefunden. Doch auch die „gesetzliche Festlegung, dass eine Funkzellenabfrage nur durch ein Gericht angeordnet werden darf, enthebt die anderen Akteure der Strafverfolgung – die Polizei und die Staatsanwaltschaft – nicht ihrer Verantwortung, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits bei den durch sie vorzunehmenden und vorgenommenen Verfahrensschritten zu beachten“, hält der Datenschutzbeauftragte in seinem Bericht fest (S. 26). Und nach Ansicht Schurigs kommt verschärfend hinzu: „Der Beachtung der Verhältnismäßigkeit durch Polizei und Staatsanwaltschaft kommt auch und gerade insofern besondere Bedeutung zu, als es in Sachsen üblich zu sein scheint, dass staatsanwaltschaftliche Anträge auf eine richterliche Anordnung bereits in Beschlussform auf Briefbögen des zuständigen Amtsgerichts formuliert werden“ (S. 26).
Neben den konkreten Grundrechtsverletzungen kritisiert Schurig den durch die massenhaften Funkzellenabfragen eingetretenen Einschüchterungseffekt und betont das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses hatte das Bundesverfassungsgericht insbesondere im Hinblick auf einen solchen Einschüchterungseffekt durch staatliche Datenerhebungsmaßnahmen formuliert (vgl. std. Rspr. seit BVerfGE 65, 1 ff.). Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit müsse ohne Angst vor staatlicher Registrierung und Überwachung möglich sein, andernfalls würde die Ausübung von Grundrechten und damit die Demokratie gefährdet. Aber dieser Einschüchterungseffet wurde bei der SoKo 19/2 der PD Dresden, beim LKA Sachsen und bei der Staatsanwaltschaft Dresden genauso wenig berücksichtigt, wie die vielfachen Grundrechtsverletzungen durch die Erhebung von über einer Million personenbeziehbaren Verkehrsdaten und über 40.000 personenbezogenen Bestandsdaten. Im Gegenteil: In ihrer Stellungsnahme im Rahmen des Beanstandungsverfahrens durch den Datenschutzbeauftragten gab die PD Dresden an, dass die „Heimlichkeit einer verdeckten polizeilichen Maßnahme und ein unmittelbar einhergehender Einschüchterungseffekt“ sich „argumentativ“ ausschließen würden. Dass eine Maßnahme, die, wie eine Funkzellenabfrage, erst im Nachhinein durchgeführt wird, natürlich keinen Einschüchterungseffekt in der Vergangenheit entfaltet, sondern bei zukünftigen Ereignissen, scheint eine der PD Dresden unerschließbare Logik zu sein.
Bei den durch das LKA beantragten Funkzellenabfragen beanstandet Schurig in seinem Bericht besonders die zeitliche (einmal über 12 Stunden und einmal über volle 48 Stunden) und örtliche Dimension, welche jede Verhältnismäßigkeit vermissen ließ und somit Grundrechtseingriffe, Missachtung der besonderen Rechte bestimmter Berufsgruppen sowie den Einschüchterungseffekt noch potenzierte. Zudem rügt er die Außerachtlassung der Tatsache, dass „gegen einige der namentlich bekannten Tatverdächtigen bereits gezielte TKÜ-Maßnahmen eingesetzt worden waren und damit die Kommunikationsbeziehungen zumindest dieser Tatverdächtigen und ihrer Kontaktpersonen ermittelt werden konnten.“ Im Zuge des Beanstandungsverfahrens kam es zu mehreren Kontrollbesuchen und Unterredungen zwischen Schurig, Staatsanwaltschaft und LKA, während derer Sichtweisen der Behörden auf staatliche Datenerhebungsmaßnahmen zu Tage traten, die in keiner Weise mit geltendem Recht im Einklang zu stehen scheinen. Des Sondercharakters von Funkzellenabfragen und den vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsabwägungen waren sich die Behörden offenbar überhaupt nicht bewusst oder haben diese absichtlich ignoriert. Solche staatlichen Datenerhebungsmethoden werden als ganz normales Mittel der Ermittlungsarbeit betrachtet. Die Anekdote, die Schurig hierzu in seinem Bericht zum Besten gibt, ist dabei wohl vielsagend für sämtliche Ermittlungsverfahren, die die Staatsanwaltschaft Dresden derzeit gegen Antifaschist_innen führt: „…auf meine in der Zusammenkunft am 4. Juli 2011 an die Vertreter der StA Dresden und des LKA Sachsen gerichtete Frage, unter welchen Umständen sie selbst eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage als unverhältnismäßig erachten würden, (konnte) keiner der anwesenden Vertreter beider Behörden ein Antwort finden“ (S. 45). Ein Schwerpunkt der Kritik Schurigs bildet auch die Tatsache, dass die StA Dresden ihrer Aufgabe als ermittlungsleitende Behörde in unzureichendem Maße gerecht wird, da sie die Anregungen des LKA Sachsen praktisch nicht geprüft hat. Auch das sogenannte Subsidiaritätsprinzip sieht der Datenschützer durch die beiden Behörden verletzt. So ist offenbar nicht ernsthaft geprüft worden, ob andere Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich erschwerend oder aussichtslos gewesen wären. In den Unterlagen fand sich lediglich folgende lapidare Feststellung der Staatsanwaltschaft, die wohl eine Prüfung nach Subsidiaritätsprinzip suggerieren soll, sich jedoch in der schlichten Behauptung erschöpft: „Die Erhebung der Verkehrsdaten ist für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich (§ 100g Abs. 1 2. Halbsatz StPO), weil andere Ermittlungsmöglichkeiten nicht bestehen“ (S. 45).
Bei dieser geballten Ignoranz gegenüber rechtlichen Vorgaben für den Einsatz von Ermittlungsmethoden, die Eingriffe in die Grundrechte und in das informationelle Selbstbestimmungssrecht darstellen, ist es kaum verwunderlich, dass der sächsische Datenschutzbeauftragte in seiner Kritik ungewöhnlich deutlich wird:
„Von einer Beanstandung konnte ich nicht (…) absehen, da das Handeln der StA Dresden und des LKA Sachsen zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte von ca. 257.000 Personen, von denen über 40.000 namentlich ermittelt wurden, führten, sowie die spezifischen Rechte von Abgeordneten, Rechtsanwälten und Journalisten in Ausübung ihrer Tätigkeit unzureichend beachtet wurden. StA und LKA haben damit mangelnden Respekt vor dem Fernmeldegeheimnis (…), der Versammlungsfreiheit (…), der Pressefreiheit (…), der Religionsfreiheit (…) sowie den spezifischen Rechten von Abgeordneten und Rechtsanwälten gezeigt. Ich bewerte dieses Vorgehen als besonders schwerwiegend.“ (S. 46 f.)
Aber auch all das ficht weder StA Dresden noch das LKA Sachsen an. Die einmal erhobenen Verkehrs- und Bestandsdaten bleiben in eFAS gespeichert, teilte das LKA dem Datenschützer mit – und zwar solange „bis sie zur Strafverfolgung und für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme nicht mehr erforderlich sind.“ (S. 44)
Insofern darf bezweifelt werden, dass die Forderungen des Datenschutzbeauftragten Wirksamkeit entfalten: Benachrichtigung der namentlich bekannten Betroffenen – Auskunftsersuchen werden bisher nicht beantwortet. Unverzügliche Reduzierung des gespeicherten Datenbestandes in den Arbeitsdateien sowie Löschung der zur Strafverfolgung nicht erforderlichen Daten – die Äußerung des LKA hierzu ist unmissverständlich. Abgesehen davon stellt sich unweigerlich die Frage, wer das ggf. überprüft. Diese Frage stellt sich auch bei den Forderungen nach Sperrung der Rohdaten, keine Speicherung für Gefahrenabwehrzwecke oder Beachtung der Kennzeichnungspflicht der erhobenen Daten. Weiterhin fordert Schurig eine Entscheidung über die Verwertung von Verkehrsdaten aus den Funkzellenabfragen in anderen Verfahren. Aber auch diese ist bisher nicht getroffen und wird es wohl auch nicht einzig auf „Druck“ des sächsischen Datenschützers. Denn fraglich ist überhaupt, inwiefern diese zwar verfassungsmäßig vorgesehene, aber keineswegs mit entsprechenden Befugnissen ausgestattete Kontrollfunktion ein „Drohpotential“ gegenüber der staatlichen Exekutive auszuüben in der Lage ist. So ist denn auch kaum zu erwarten, dass sich die Behörden an die weiteren Forderungen halten, so nach zukünftig genauer Bezeichnung der Rechtsgrundlagen in Anträgen, nach der Erstellung eines allgemeinen Reduzierungskonzepts für künftige Fälle und nach der Schaffung untergesetzlicher Handlungsanweisungen. Einzig die Präzisierung der gesetzlichen Grundlagen sind tatsächlich durch eine sächsische Bundesratsinitiative angestrebt – aber dies schon bevor der Datenschützer seinen Bericht samt Forderungen veröffentlichte.
Und so werden sowohl der Bericht, als auch die darin enthaltenen Forderungen sowie die Rolle des Datenschutzbeauftragten insgesamt ein zahnloser Tiger bleiben, der die Kontrolle der staatlichen Exekutive und ihrer Maßnahmen zwar suggeriert, aber in der Konsequenz konsequenzlos bleibt.
Hoyerswerda revisited
Im Herbst 1991 gab Hoyerswerda den Startschuss zu rassistischen Ausschreitungen, Pogromen und Anschlägen im wiedervereinigten Deutschland. Neonazis und Bürger_innen der Stadt belagerten und attackierten ein Vertragsarbeiter_innen- und Asylbewerber_innenheim für mehrere Tage. Am Ende wurden die Asylbewerber_innen von der Polizei – welche den vorangegangenen Angriffen ohnmächtig oder unwillens sie zu beenden, gegenüberstand – aus der Stadt eskortiert. Hoyerswerda wurde zur „ausländerfreien Stadt“.
In diesem Jahr jährten sich die Ereignisse zum zwanzigsten Mal. Doch auch 20 Jahre danach werfen die Ereignisse einen dunklen Schatten über den selbsternannten Aufarbeitungsweltmeister. Nicht nur, dass Stadt und überwiegende Mehrheit der Bevölkerung einer Gedenkdemonstration fernblieben – im Gegenteil: der Hoyerswerdaer Bürgermeister Stefan Skora distanzierte sich öffentlich in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur von der Veranstaltung und diffamierte diese gar – ganz entsprechend der Extremismustheorie – als von Extremisten von außen der Stadt aufgezwungenes Negativereignis. „Wir haben darauf hingewiesen, dass wir die Bezeichnung „Pogrom 91“ als eine Beleidigung für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hoyerswerda auffassen, und gesagt, wir stehen hinter diesen Aussagen nicht.“ Denn in Skoras Vorstellung hat es 1991 kein Pogrom gegeben. Er teilt „(…) diese Bezeichnung für die Ereignisse von 1991, sie als Pogrom zu bezeichnen, nicht.“
In seiner Vorstellung hätten die linksextremen Demonstranten aus Berlin die Parolen und Hitlergrüße, mit denen Nazis eine Gedenkminute störten, geradezu provoziert. Zur Frage nach seiner Einstellung zu einer Initiative, die an die Ereignisse vor 20 Jahren erinnern will einerseits und zu Hitlergrüßen von Neonazis andererseits, antwortet Skora: „Das ist für mich beides unerträglich“.
Ebenso erachtet er die Versuche eines Kamerateams, Interviews mit ehemaligen Betroffenen des Pogroms am Ort der Geschehnisse zu führen, welche durch rassistische Pöbeleien und Bedrohungen von Anwohner_innen abgebrochen werden mussten, als Provokation. Skora wörtlich: „Also, bei dem Kamerateam sage ich ganz eindeutig: So, wie ich es erlebt habe in der bedrängenden Situation auch mir gegenüber, sehe ich auch schon eine gewisse Interessenlage“.
Auch das polizeiliche Handeln erinnerte am Tag der Gedenkdemonstration an das Verhalten der Beamten von vor 20 Jahren. Während Demonstrationsteilnehmer_innen penibel durchsucht wurden, teilweise auf rechtswidrigem Weg Personalausweise abgeben sollten bzw. mussten, unter den fadenscheinigsten Gründen Anzeigen erfolgten, blieben Nazis bei ihren Störversuchen und Hitlergrüßen unbehelligt.
Während dieser Ereignisse verweilte der Bürgermeister von Hoyerswerda und Sachsens Innenminister Ulbig beim „Tag der Heimat“. Einer Veranstaltung des Bund gegen Vertreibung.
In diesem Zusammenhang sollte auch Skoras Antwort auf die Frage, weshalb sich Rechtsextreme immer noch so wohl in Hoyerswerda fühlen, betrachtet werden. „Ja gut, man muss das mal relativieren,(…)“
Alle Zitate stammen von Stefan Skora, Oberbürgermeister Hoyerswerda im Interview mit Deutschlandradio Kultur am 20.09.2011
Wenn man nicht alles selber recherchiert oder die Lüge des Justizministers
Dass man es in Sachsen mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und diese nur auf Druck und nur scheibchenweise serviert, ist der gesamten „Handygate“ Affäre immanent. Bisheriger Vorreiter der Salamitaktik war Innenminister Ulbig. Nun wurde auch sein Kollege Dr. Martens, der stets versucht hatte als Aufklärer dazustehen, überführt es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen.
So antwortete er Ende August auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Henning Homann (SPD), dass es derzeit nur ein Ermittlungsverfahren wegen krimineller Vereinigung gegen Linke gäbe. Tatsache ist aber, dass die Behörden seit mehreren Monaten zwei Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB vorantreiben. Da die Staatsanwaltschaft den Betroffenen nach wie vor Akteneinsicht verwehrt, ist der Gesamtumfang beider Verfahren noch immer unklar. Unabhängige Beobachter schätzen ein, dass sich die Aufsplittung der Ermittlung in zwei Verfahren aus dem bereits seit 2010 anhängigen Verfahren und der Razzia am 19. Februar selbst ergibt. Insgesamt könnten über 40 Personen als Beschuldigte ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten sein, die Dimension der sogenannten Strukturermittlungen nimmt immer größenwahnsinnigere Züge an und dürfte inzwischen zur Ausspähung hunderter Personen geführt haben. Ganz zu Schweigen vom rechtswidrigen Handygate von über einer Million Datensätze, die vor allem im Rahmen dieser politisch motivierten „Strukturermittlungen“ gewonnen wurden.
Intendanten-„Wahl“
Im Mai 2011 erklärte der Intendant des MDR Udo Reiter seinen Amtsverzicht. Die Einsetzung des Nachfolgers sollte zur Machtdemonstration der CDU-geführten sächsischen Landesregierung werden. Mit autoritärem Gebaren versuchte sie ihren Wunschkandidaten durchzudrücken – geklappt hat das diesmal allerdings nicht. 29 Mitglieder des MDR-Rundfunkrat lehnten den Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung Bernd Hilder ab, nur zwölf votierten für ihn.
Dabei wurde im Vorfeld keine Möglichkeit ausgelassen, um auf den vermeintlich staatsfernen öffentlich-rechtlichen Sender Einfluss zu nehmen. In Gutachten wurde den MDR-Gremien erklärt, dass eine öffentliche Ausschreibung der Intendantenstelle den MDR-Statuten widerspricht. Die Ausschreibung unterblieb. Potentielle Kandidaten aus dem Sender wurden mit Polemik kleingehalten: „Kaum eine Instanz in diesem Sender ist intakt“, erklärt der sächsische Staatskanzleichef und neuerdings Koordinator der Medienpolitik der unionsgeführten Bundesländer Johannes Beerbaum. Ob er mit solchen Aussagen seiner Partei einen Gefallen tut, sei angesichts der reichlich engen CDU-Verquickung mit dem Sender seit dessen Gründung dahin gestellt. Richtig demokratisch wurde es dann im MDR-Verwaltungsrat: vier Wahlgänge und einige Telefonate brauchte es, bis das Gremium die gewünschte 2/3-Mehrheit für Hilder beisammen hatte und von der anfangs mit 4 zu 3 Stimmen vorneliegenden MDR-Justiziarin Karola Wille absah. Dass sich vor der anschließenden Wahl im Rundfunkrat einige Mitglieder durch zahlreiche Anrufe aus Sachsen unter Druck gesetzt sahen, verwundert kaum. Geholfen hat es allerdings nicht.
Der goldene Tillich
Die letzte Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie lief nicht ganz so ab, wie die Organisator_innen sich das vorgestellt hatten, sie endete mit einem Eklat. Die nominierte Initiative Akubiz e. V. lehnte den Preis ab. Grund war die an den Preis geknüpfte Forderung, die sogenannte Extremismusklausel zu unterschreiben. In dieser sollte sich der Verein zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und vor allem seine Kooperationspartner_innen auf dieser Basis auswählen bzw. überprüfen. Die Klausel wurde bereits im Dezember letzten Jahres von einem Rechtsgutachten als verfassungswidrig bewertet. Mittlerweile ist fast ein gutes Jahr vergangen und alle haben so ihre Konsequenzen gezogen.
Der Freistaat Sachsen lässt sich ungern für seine autoritäre Politik kritisieren und stieg deshalb aus dem Demokratieförderpreis aus. Der Staatsregierung folgten die Stiftung Frauenkirche Dresden gemeinsam mit der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank. Um sich aber kein mangelndes Engagement vorwerfen zu lassen und vor allem das eigene Demokratieverständnis zu lancieren, wurde kurzerhand ein neuer Preis ins Leben gerufen: der Sächsische Bürgerpreis. Dieser wurde erstmals am 20. Oktober 2011 in der Frauenkirche vergeben.
Das autoritäre Verhältnis zwischen Staat und Bürger_in, wie es sich die sächsische CDU wünscht, kommt im Nominierungsverfahren für den Preis voll zu Geltung. Die Landkreise und Kreisfreien Städte dürfen die Anwärter_innen vorschlagen, da diese „am besten darüber informiert sind, wer eine ganz besondere und damit auszeichnungswürdige Arbeit leistet.“ Dann wundert auch nicht, dass die nominierten Projekte gar keine Erklärung mehr unterschreiben müssen, wurden sie ja schon von autorisierter Stelle, ein Garant zum Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und gegen jeden Extremismus, auserwählt.
In Regionen mit einer rechten Hegemonie, welche meist von den politischen und gesellschaftlichen Amtsträgern ignoriert, verharmlost oder gutgeheißen wird, werden Initiativen, die trotzdem versuchen, diese Probleme zu thematisieren, von eben diesen „Autoritäten“ als Nestbeschmutzer stigmatisiert, kriminalisiert und politisch bekämpft. So ist kaum zu erwarten, dass eventuelle Landräte_innen, Bürgermeister_innen, etc. Initiativen, die sich wirklich gegen Unwertigkeitsideologien engagieren, für diesen Preis nominieren, würden sie doch ihrer eigenen Logik zuwider handeln. Aber das ist eben das sächsische Verständnis von Demokratie, autoritär und obrigkeitsstaatlich, es geht nicht wirklich darum, sich aktiv gegen Neonazis zu engagieren. Deshalb fördert der Sächsische Bürgerpreis ja auch „bürgerschaftliches Eintreten für gesellschaftliche Werte und ein friedvolles Zusammenleben“. Was die CDU darunter versteht, möchte mensch sich kaum ausmalen. Und sollte sich ein_e Bürgermeister_in mit der Nominierung mal zu weit aus dem Fenster lehnen, gibt es immerhin noch die Jury, welche vom Ministerpräsidenten Tillich persönlich berufen wird. Diese Konzeption des Bürgerpreises nahm dann selbst die ZEIT in ihrer Ausgabe Nr. 43 vom 20. Oktober 2011 zum Anlass, einen Vorschlag für eine Preistrophäe zu gestalten. Denn „weil der Bürgerpreis eigentlich ein Tillich-Preis ist“ kreierten sie den Goldenen Tillich. Optisch und auch an Inhaltsleere entspricht er dem Bambi, nur eben in Tillichform, und dieser darf natürlich ebenso wie Bambi auf einem Sockel stehen, seinem politischen Selbstverständnis würdig.
Wer nun dachte, an der offiziellen Verleihung diese Bürgerpreises teilnehmen zu können, um die engagierten sächsischen Bürger_innen einmal kennenzulernen und an diesem erhebenden Moment gelebter sächsischer Demokratie zu partizipieren, wurde bitter enttäuscht. Beziehungsweise spiegelte sich eben dieses Verständnis auch in der Einladungspolitik wieder. Denn die Verleihung fand ohne Bürger_innen statt. Nach Kritik in der Presse wurde dieses Vorgehen bestätigt und betont, dass es auch weiterhin keine öffentliche Veranstaltung geben wird. Am Ende ist das nicht überraschend, denn wenn Bürger_innen unkontrolliert an dieser Veranstaltung teilnähmen, könnten sie am Ende diesen Rahmen für Kritik nutzen.
Die Amadeo-Antonio-Stiftung hält gemeinsam mit der Freudenberg Stiftung und der Cobler Stiftung an der Vergabe des Förderpreises für Demokratie fest. Sie verweist in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Notwendigkeit des Preises, da dieser eben genau die Initiativen unterstütze, die sich auch „gegen lokale Widerstände gegen Neonazis und für eine demokratische Kultur engagieren“. Verliehen wird der Preis am 9. November 2011 im Marta-Fraenkel-Saal des Deutschen Hygiene Museums in Dresden. Ebenso findet vorher eine Podiumsdiskussion zum Thema „Der Staat und die Zivilgesellschaft“ statt. Beide Veranstaltungen können mit vorheriger Anmeldung gerne besucht werden.
Extremismus nun auch im Kanalbau
In Deutschland gibt es nahezu 500.000 km öffentliche Abwasserkanäle. Hinzu kommen rund eine Million Hausanschlüsse und Grundstücksleitungen. Ein großer Teil dieser Kanäle bedarf der dringenden Sanierung oder Erneuerung. So auch im sächsischen Limbach-Oberfrohna. Der Ort ist in den letzten Jahren nicht nur durch eine Reihe rechter Gewalttaten und durch zahlreiche neonazistische Veranstaltungen in die bundesweiten Schlagzeilen geraten, sondern vor allem durch das Verschweigen, Leugnen und Schönreden der Problematik seitens der städtischen Verantwortlichen. Hinzu kommt die permanente Kriminalisierung derjenigen im Ort, die sich gegen menschenverachtendes Denken und Neonazis positionieren. Die örtliche Polizei behauptete im Zuge dessen auch schon einmal in einer offiziellen Pressemitteilung, dass die „linken Extremisten“ Schwarzpulver und Kaliumnitrat zum Sprengstoffbau besitzen. Einige Wochen nach dieser Meldung mussten sie richtig stellen, dass es sich nur um Sand und Dünger gehandelt habe. Der gewünschte Effekt – die linksalternativen Jugendlichen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren – wurde allerdings erreicht. Für den Kanalbau in Limbach-Oberfrohna haben sich die Stadtoberen nun auch etwas ganz besonderes ausgedacht: Über das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“, welches zur Aufgabe hat „Extremismus in Ostdeutschland“ zu bekämpfen, hat man sich Geld besorgt und in den Zentralen Dienst der Stadt transferiert. Hier versucht man nun, dass Nützliche – den Kanalbau – mit dem Übel – dem „Extremismus“ zu verbinden. Ziel ist es laut Selbstbeschreibung der Stadt Limbach-Oberfrohna, dass man „die vorhandenen Strömungen und Bestrebungen bündelt und in die richtige Richtung kanalisiert.“ Zu hoffen bleibt, dass man sich in dem sächsischen Städtchen darüber bewusst ist, dass defekte und undichte Kanalsysteme erhebliche Umweltrisiken sowie die Gefahr von Verunreinigung mit sich bringen. Das Problem: Sobald die Abwasserkanäle eingebaut sind, sieht man sie nicht mehr und Ausführungsmängel treten oft erst als Spätschäden auf.