Jeweils etwa 70 Menschen haben heute an Kundgebungen mit dem Titel „Das Märchen vom Trio – NSU in Dresden und Sachsen: einer Rede wert!“ in Pieschen, der Innenstadt und in Löbtau teilgenommen. Ziel der Veranstaltung war es, ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, dass auch Dresden und Sachsen mit den Ereignissen um die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ verbunden sind und eine Auseinandersetzung damit dringend notwendig ist. Jahrelang hatte sich das „NSU-Trio“ Sachsen als Rückzugs- und Ruheraum ausgesucht und auf ein aktives Unterstützer_innen-Netzwerk zurückgreifen können.
Dabei mussten sie wiederholt ihre Versammlungsrechte gegenüber der Polizei stark machen. Am ersten Kundgebungsort versuchten etwa 20 Nazis aus dem Umfeld des Ladengeschäfts „Never Straight Clothes“ die Kundgebung zu stören. Darunter auch der Besitzer Sebastian Raack und der stadtbekannte Gewalttäter und Nazi Ronny Thomas. Die Polizei zeigte daran jedoch keinerlei Interesse und ließ die Nazis gewähren. Auch am zweiten und dritten Kundgebungsort verhielten sich die Beamten unkooperativ. So verlangten sie unter anderem entgegen des Auflagenbescheids die Räumung einer Straße, die Demonstranten sollten sich lediglich auf den Fußweg stellen. Zudem wurde die Kundgebung durch die Beamten anlasslos abgefilmt.
Das aktive Unterstützer_innennetzwerk war Thema am ersten Kundgebungsort. Im Kaufhaus Mälzerei in Dresden-Pieschen befindet sich das Geschäft Neverstraight – Tattoos, Bodypiercing and Clothes. Dort gibt es Kleidung verschiedenerNazi-Marken zukaufen, genauso wie CDs und Merchandise von Nazibands. Zu diesem Geschäft gehört ebenfalls das Label OPOS Records mit einem angeschlossenem Online-Versandhandel. Es ist eines der wichtigsten Labels für Nazimusik in Sachsen. Inhaber von Label und Laden ist Sebastian Raack. Sein Mitbetreiber ist Michael Lorenz. Beide sind keine Unbekannten, sondern Mitglieder bekannter NS-Hatecorebands. Beide standen in Verbindung mit dem Nazinetzwerk Blood & Honour. Raack war Inhaber des Postfachs der B&H Sektion Süd-Brandenburg und der Nachwuchsorganisation White Youth Deutschland. Lorenz war Mitglied der B&H Sektion Sachsen und wurde 1999 sogar letzter Sektionsleiter bis zum Verbot. Heute ist klar, dass Mitglieder des Nazinetzwerks Blood & Honour eine zentrale Rolle in der Unterstützung der drei Untergetauchten Jenaer Nazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe spielten. Das Nazinetz unterstützte den NSU, maßgeblich: mit Papieren, Wohnungen, Waffen und Sprengstoff. Und mit Raak und Lorenz sind ehemalige Mitglieder dieses Netzwerks bis heute hier in Dresden aktiv – im gleichen Geschäftsfeld wie Blood&Honour.
Zweiter Anlaufpunkt war der Schloßplatz in der Dresdner Innenstadt. In einem ersten Redebeitrag stand zunächst die Erinnerung an die Opfer des NSU im Vordergrund. Skandalisiert wurden zudem die Ermittlungsmethoden der Sicherheitsbehörden, genausowie die behördliche Verhinderung der Aufklärung nach dem Aufliegen des NSU. Dass die derzeitige Situation gesellschaftlich, politisch und rechtsstaatlich keine ausreichend sichere Perspektive für Menschen mit Migrationshintergund bietet, war für die Kampagne Anlass, auf dem Schloßplatz zu demonstrieren.
Die Polizei zeigte hier erschreckend mangelnde Senisbilität. So durften die Reden nicht eine andere angrenzende Chorveranstaltung stören und Demonstrant/innen, welche sich vor der Schloßkirche mit Sprüchen wie „Solidarität mit den betroffenen Migrant/innen“ stellten, wurde eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch angekündigt. Die Treppe gehört, so der Inspektor der Schloßkirche nicht zum Kundgebungsort und sei deshalb zu verlassen. Tobias Naumann von der Kampagne Sachsen Demokratie meinte dazu: „Wir sind heute hier um uns mit den Angehörigen der Opfer zu solidarisieren und zu fordern, dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden muss. In dieser Gesellschaft ist Rassismus Alltag und das muss aufhören. Dass es sich die Polizei nicht nehmen lässt den Ablauf der Demonstration zu stören, ist angesichts des Desasters bei den Ermittlungen ein Skandal“.
Dritter und letzter Kundgebungsort war die Saalhausener Straße 33 in Dresden Löbtau, wo jahrelang einer der frühesten Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds wohnt – Thomas Starke. Er war einer der Wegbegleiter der drei aus Jena geflüchteten Nazis. Er war seit den frühen 1990ern mit ihne bekannt, zeitweise war er mit Zschäpe liiert. Nach eigener Aussage besorgte er einen Schuhkarton gefüllt mit 1,1 kg TNT-Sprengstoff und überließ ihn den drei Nazis in Jena. Anfang 1998 wurde der Sprengstoff, mittlerweile zum Bau von Rohrbomben genutzt, in der Garage von Zschäpe durch die Polizei sichergestellt. Die Nazis jedoch konnten sich absetzen. Erste Wahl auf der Flucht war Chemnitz und wiederum ihr langjähriger Bekannter Starke. Der quartierte die Gesuchten bei einem Freund ein. Heute behauptet Starke, der Kontakt zu den Dreien sei nur wenige Wochen später abgebrochen. Jedoch hat er noch 1999 eine an ihn herangetragene Spende für die Untergetauchten abgelehnt. Die Begründung damals: die drei würden jetzt „jobben“ und benötigten kein Geld. Nur einen Monat zuvor begangen sie ihren ersten Überfall auf eine Postfiliale. Als die Polizei wegen einer CD der Band „Landser“ Starkes Wohnung durchsuchte, fand sie einen Notizblock mit den Namen von Mundlos und Zschäpe, sowie ihren Kontaktdaten. Lange Jahre war Starke da schon in der organsisierten Nazisszene aktiv. Nach einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe wegen diverser Überfälle und einer versuchten schweren Brandstiftung Mitte der 1990er führte ihn sein Weg zu CC88 und von dort zum sächsischen Ableger des Blood&Honour-Netzwerks. Gemeinsam mit Jan Werner gehörte er zur Führungsriege der Sektion Sachsen. Blood & Honour beschränkte sich keineswegs auf den Vertrieb von Nazimusik und die Organisation von Konzerten. Das Netzwerk verfolgte ebenso den Aufbau militanter Terrorzellen.
Dokumentation der während der Kundgebungen gehaltenen Redebeiträge:
- „Zur gesellschaftlichen Normalität des Rassismus“, (Schloßplatz), als pdf.
- „Braune Feuchtgebiete im sächsischen Sumpf“, (Schloßplatz, Gruppe raddix), als pdf.