Seit März führt das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen erneut Wohnungsdurchsuchungen bei Antifaschist_innen aus Dresden und Leipzig durch. Die Durchsuchungen sind Bestandteil der durch die Dresdner Staatsanwaltschaft und das LKA vorangetriebenen Ermittlungen nach §129 StGB, in denen mittlerweile über 45 Antifas beschuldigt werden Teil einer sogenannten kriminellen Vereinigung zu sein. Neuerdings muss auch ein Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge im April 2009 als Grund für Durchsuchungen herhalten. Das LKA setzt damit seine politisch motivierte Kriminalisierungskampagne gegen Antifaschist_innen fort und bläht sein Konstrukt einer kriminellen Vereinigung immer weiter auf.
Am 4., 12. und 26. April durchsuchten Beamte des LKA drei Wohnungen von Beschuldigten aus Dresden und Leipzig, denen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Das Vorgehen der Polizei war dabei weitaus zurückhaltender als im Vorjahr, wo mit großangelegten Razzien Eindruck zu schinden versucht wurde. Möglicherweise liegt der Grund für das subtilere Vorgehen darin, dass der immense Ermittlungsaufwand vorzeigbare Ergebnisse missen lässt und auch die jüngsten Durchsuchungen nur den Verdacht erhärten, dass es um die willkürliche Ausspähung und Einschüchterung politisch unliebsamer Strukturen geht. Die Willkür zeigt sich beispielhaft an der Durchsuchung vom 4. April. Der dort Beschuldigte machte sich in den Augen der Beamten „verdächtig“, weil er als Kampfsporttrainier arbeitet und weil sein Mobiltelefon am 19. Februar 2011 bei einer Funkzellenabfrage (FZA) festgestellt wurde, wie tausende andere Mobiltelefone auch. Der eigentliche Anlass für diese konkrete FZA war bemerkenswerterweise ein Überfall von 200 Nazis auf ein alternatives Wohnprojekt, bei dem die Polizei erst tatenlos zusah und dann im Nachhinein versuchte Täter_innen zu ermitteln. Bei diesen Ermittlungen gelangten sie zur Erkenntnis, dass es im FZA-Abfragezeitraum auch „linksmotivierte“ Straftaten gegeben habe. Die Mühe auch nur ansatzweise zu erläutern, was das für Straftaten gewesen sein sollen oder worin die Verbindung zum Beschuldigten besteht, sparte man sich. Schließlich kann verlässlich auf die Dresdner Amtsrichter gebaut werden, denen der Grundsatz der Unschuldsvermutung gänzlich unbekannt scheint und die gewillt sind, jeden Ermittlungswunsch zu erfüllen. So genügte der beschriebene „Verdacht“, um neben der Durchsuchung gleich noch die DNA-Entnahme anzuordnen.
Auch bei den Durchsuchungen am 12. April in Dresden und am 26. April in Leipzig waren die Anschuldigungen ähnlich „stichfest“. Wie bei allen Beschuldigten im §129-Ermittlungsverfahren fußen die Verdächtigungen auf keinerlei Vorwürfe an Straftaten beteiligt gewesen zu sein, sondern lediglich darauf, in den Augen des LKAs die “falschen“ Locations zu besuchen, die “falschen” Leute zu kennen oder sich irgendwie verdächtig verhalten zu haben. Mit fadenscheinigen Gründen dringen die Ermittler in die Privatsphäre von Menschen ein und stellen sie vor ihren Nachbar_innen und Arbeitskolleg_innen als kriminell dar. Die kriminelle Antifabande bleibt dabei weiterhin Hirngespinst der Ermittler, welches als Türöffner für die fragwürdigsten Ermittlungsmethoden herhält. Die Äußerung des LKA-Chefs Jörg Miachelis, die Polizei sei unpolitisch, erweist sich angesichts dieses Vorgehens als plumpe Schutzbehauptung.
Neu sind die Versuche der LKA-Ermittler den Brandanschlag auf Bundeswehrfarhzeuge im April 2009 mit dem §129-Verfahren in Verbindung zu bringen. So wurden am 15. März erneut die Wohnungen der Eltern zweier Beschuldigter in Finsterwalde durchsucht. Bereits im April 2011 durchstöberten Beamte mit dem Hinweis auf die „kriminelle Vereinigung“ diese Wohnung. Nun, fast ein Jahr später, will das LKA zur Erkenntnis gelangt sein, dass die Beschuldigten aufgrund der damals beschlagnahmten Gegenstände mit dem Brandanschlag in Verbindung stehen könnten. Gesucht wurde u.a. nach Autoglühlampen, einer schwarzen OBI-Ordnungskiste, Kurzzeitweckern und Lageplänen. Beschlagnahmt wurden letztlich vor allem Computertechnik und Speichermedien.
Am 22. März gab es dann eine Wohnungsdurchsuchung in Dresden, ebenfalls begründet mit dem Vorwurf der Brandstiftung an den Bundeswehrfahrzeugen. Die eingesetzten Beamt_innen interessierten sich mit ihren Fragen jedoch ausschließlich für das §129-Verfahren gegen Antifas, der Brandanschlag – immerhin der Grund der Durchsuchung – fiel hinten runter. Wenig verwunderlich, dass sich der Durchsuchungsbeschluss genauso liest: ein konstruierter Vorwand um in die Privat- und Intimsphäre eindringen zu können. Angeführt wird eine FZA, die im Zuge der damaligen Ermittlungen zum Brandanschlag durchgeführt wurde. Dabei fielen 1,1 Millionen Datensätze, sowie die Bestandsdaten von über 80.000 Personen an. Davon betroffen sind neben zahlreichen Osterspaziergänger_innen vermutlich vor allem die nördlichen Wohngebiete der Äußeren Neustadt und des Hechtviertels. Auch der Name des nun Beschuldigten taucht in den Datenmassen auf, jedoch nur einen Tag vor dem eigentlichen Brandanschlag. Doch allein das genügt, damit das LKA behauptet, er habe das Anschlagsziel ausgespäht. Weitere Verdachtsmomente der Behörden generieren sich aus der einfachen Beteiligung an Anti-Naziprotesten, sowie aus einer Funkzellenabfrage in Berlin, die im Zuge einer Autobrandstiftung gemacht wurde. Wie diese Daten nach Sachsen gelangt sind, ist unklar. Der Verdacht liegt nahe, dass die Polizeibehörden munteren Datenaustausch betreiben, ihre elektronischen Auswertungssysteme (EFAS) mit riesigen Datenmengen auffüllen und darauf basierend Rasterfahndung betreiben. Ein Vorgehen, das – wird es tatsächlich so praktiziert – rechtlich mehr als fragwürdig wäre – und gerade deswegen nicht weniger wahrscheinlich ist.
Am 19. April fuhr das LKA erneut in Finsterwalde vor, um die Razzia vom 15. März mit einem nahezu identischen Beschluss zu wiederholen. Als Grund muss ein abgehörtes Telefonat herhalten, in dem geäußert wurde, dass die Beamten bei der letzten Durchsuchung nicht das gefunden haben, wonach sie gesucht haben. In der unhintergehbaren Verdächtigungslogik der Ermittler ein willkommener Anlass für erneute Schikane. Mit Hilfe einer Speditionsfirma demontierten und beschlagnahmten sie diesmal zahlreiche Einrichtungsgegenstände. OBI-Kisten oder Kurzzeitwecker werden sich so kaum finden lassen, ganz offenkundig geht es nur noch um Einschüchterung und Bestrafung für unkooperatives Verhalten.
Diesem Druck entgegenzuwirken und die Betroffenen zu unterstützen, ist angesichts des Ermittlungsfurors dringend nötig. Für die juristische Gegenwehr in Sachen Bundeswehrbrandstifung sammelt die Rote Hilfe Dresden Spenden:
Rote Hilfe Dresden, Konto: 609760434
BLZ 36010043, Postbank Essen
Stichwort „Finsterer Wald“
Verwaltungsgericht Dresden stellt fest: Extremismusklausel ist rechtswidrig!
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Dresden hat die Extremismusklausel des Bundes in Gänze für rechtswidrig erklärt. Geklagt hatte das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AKuBiZ e.V.) aus Pirna gegen den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Dieser hatte ein Projekt des Vereins zwar als „demokratiefördernd“ anerkannt, ihm aber Mittel verweigert, weil der Verein die beigelegte Extremismusklausel nicht unterschreiben wollte. Zu Recht, wie das Verwaltungsgericht dem AKuBiZ jetzt bestätigt hat.
Steffen Richter, Vorsitzender des Vereins: „Bei aller Freude über das Urteil, so ist es traurig, dass wir es überhaupt erstreiten mussten. Die Extremismusklausel ist eine aktive Behinderung der wichtigen Arbeit gegen Rechts vor Ort. Die Auffassung des Gerichts bestätigt, dass Demokratiearbeit nicht mit Misstrauen begegnet werden darf.“
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Demokratieentwicklung (BAGD), der größte Zusammenschluss von Initiativen im Bereich von Demokratieförderung und Engagement gegen rechte Ideologien und Neonazis, zeigt sich ebenfalls hoch erfreut über die wegweisende Entscheidung.
Auch auf Bundesebene ziehen die Oppositionsparteien jetzt nach und fordern unisono eine Abschaffung der Klausel. Linkspartei-Chef Klaus Ernst bezeichnete das Urteil in der taz als eine „schallende Ohrfeige für eine wankende Ministerin“ (taz, 26.04.2012 „Kritik an Schröders Extremismusklausel, Jetzt muss sie vollständig fallen“).
Nur das Familienministerium unter Kristina Schröder (CDU) hält sich noch bedeckt. Eine Sprecher_in kommentierte, man würde das schriftliche Urteil abwarten und bis dahin alle Bescheide weiter mit der nun rechtswidrigen Klausel versenden.
Trotz aller Freude über das Urteil, sollte man es nicht überbewerten. Das Verwaltungsgericht hat die Option zur Berufung für den Landkreis offen gelassen. Und es hat die Klausel bis jetzt nicht für „grundrechtswidrig“, sondern nur für „rechtswidrig“ erklärt. Die Richter_innen hielten bis jetzt im mündlichen Urteil nur fest, dass die Bestimmungen der Klausel nicht genau genug getroffen seien. Sie kritisierten die Sätze 2 und 3 der Klausel, die eine Überprüfung der Partner_innen auf ihre Grundrechtstreue fordern und ein die Unterstützung sogenannter „extremistischer“ Strukturen verbieten, als zu unbestimmt. Zu Satz 1 der Klausel, welcher den vom Verein beklagten „Bekenntniszwang“ zur FdGO regelt, äußerten sich die Richter_innen in der mündlichen Urteilsbegründung noch nicht. Der Verein hatte sich in seiner Klage gegen die Klausel nicht nur auf den Bestimmtheitsgrundsatz , sondern insbesondere in Bezug auf Satz 1 auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 3 GG) berufen, gegen welche der Bekenntniszwang verstoße.
Ein Etappensieg in der Arbeit gegen die Klausel bleibt es trotzdem. Und auch das Medienecho gegenüber dem Familienministerium und seiner umstrittenen Anti-Extremismus-Politik ist vorwiegend kritisch.
Inwieweit sich die Politik von Kristina Schröder jedoch ändern wird, bleibt allerdings fraglich. Ebenso bleibt die Klausel, welche Sachsen ebenso für sein Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen“ in abgewandelter Form eingeführt hatte, davon zunächst unangetastet. Auch die sächsische Sonderregelung, sogar die Öffentlichkeitsarbeit der Fördermittelempfänger_innen zu kontrollieren, hat nach wie vor Bestand. Eine solche Kontrolle zivilgesellschaftlicher Organisationen gibt es in keinem anderen Bundesland.
Aufmarsch in Dresden 2011 verhindert. Nun alles gut?
Erfolgreich wurde im Februar 2011 der alljährliche und größte europäische Naziaufmarsch blockiert. Ende gut, alles gut könnte man meinen. Dem ist jedoch nicht so. Im Anschluss an die Blockadeaktion des Bündnisses „Nazifrei!“ – Dresden stellt sich quer kam es zu einer beispielsuchenden Repressionswelle gegen Antifaschistinnen in ganz Deutschland. Zehntausend Menschen die sich einig waren, dass ein solcher Naziaufmarsch nicht toleriert werden darf, kamen nach Dresden,. Nicht wenigen werden nun Verfahren gemacht.
Nach einer Identitätsfeststellung in einem Polizeikessel am 19. Februar vergangenen Jahres erhielten über 200 Personen Anhörungsvorladungen von der Dresdner Staatsanwaltschaft. Sie werden beschuldigt, eine angemeldete Demonstration gesprengt zu haben. Hauptsächlich geht es um den §21 des Versammlungsgesetzes. Allen Betroffenen wurde gegen Zahlung eines „Strafgeldes“ angeboten, die laufenden Verfahren einzustellen. Dabei wurden die „Strafgelder“ je nach Beruf und Alter sehr unterschiedlich geschätzt. Von 50 € bis 700 € wurde dem Bündnis Nazifrei mitgeteilt. Über 70 Menschen ließen es auf einen Prozess ankommen. Gesagt werden muss an dieser Stelle, dass um die rechtliche Situation von Blockaden gestritten wird. Während nach geltendem Bundesrecht Blockaden ein legitimes Mittel der politischen Meinungsäußerung darstellen, sehen das die Ermittlungsbehörden in Sachsen als Straftatbestand. Damit wird ein Hauptsacheurteil des Bundesverfassungsgerichtshofes nicht anerkannt.
Der bisherige Verlauf der Prozesse ist sehr unterschiedlich. Bisher fanden fünf Verhandlungen mit bis zu drei Prozesstagen statt. Es ergingen zwei Freisprüche und drei Verurteilungen zu Bußgeldern. Keines der Urteile ist bisher rechtskräftig, da Berufungsverfahren anhängig sind. Gegen zwei Personen wurden die Verfahren ohne Verhandlung eingestellt.
Besonders umstritten ist ein Urteil gegen einen 24 jährigen Dresdner, der zu 300 € Geldbuße verurteilt wurde. Der Richter hob in seiner Verurteilung hervor, dass Nazis als eine schützenswerte Minderheit im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gelten. Eine Posse, die den sächsischen Verhältnissen gerecht wird.
Derzeit wurden alle anstehenden Verfahren ausgesetzt, das Amtsgericht Dresden wartet die Urteilssprüche der Berufungsverfahren vom Oberlandesgericht Dresden ab. Anzunehmen ist, dass nach erfolgter Rechtsprechung die Verfahren am Amtsgericht fortgesetzt werden.
Weitere Informationen unter: www.dresden-nazifrei.com
Allerdings sind neben den Sitzblockierer_innen auch viele andere Menschen von der Repression um den 19. Februar 2011 betroffen. So leitete die Staatsanwaltschaft Dresden gegen den Jugendpfarrer Lothar König aus Jena zunächst ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Nachdem der Fall in den Medien präsent war, wurde das Verfahren zu besonders schwerem Landfriedensbruch umgemünzt.
König ist nicht der einzige Betroffene, dem die Ermittlungsbehörden Landfriedensbruch vorwerfen. So wurden in den letzten Monaten zahlreiche Wohnungen in Baden-Würtemberg, Berlin, Leipzig und Dresden durchsucht, die Personen einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und Telefone, Fahnen und Kleidungsstücke beschlagnahmt. Aufsehen erregte dieses Vorgehen, als ein Aktiver der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Berlin, wegen Tragens der Fahne des Bundes der Verfolgten des Naziregimes, die Dresdner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleitete. Der Betroffene sagte dazue: „Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, ich hätte mittels einer »blau-weiß quergestreiften Fahne mit rotem Dreieck« eine 400 – 500-köpfige Menge zu verschiedenen Punkten in Dresden dirigiert, um dort die Neonazis zu blockieren. Als ob die zehntausenden Antifaschist_innen »Rädelsführer« gebraucht hätten, um in Dresden die Neonazis zu stoppen.“ Derzeit ist aus dem Ermittlungsverfahren eine Anklage beim Dresdner Amtsgericht geworden. Nun wartet der Betroffene auf die Verfahrenseröffnung.
Weitere Informationen finden Sie unter: http://antifa.vvn-bda.de/201201/0501.php
Man müsste meinen, nun sei mit der Kriminalisierungdes VVN-BdA eine Linie repressiver Maßnahmen gegen zivilgesellschaftliches und antifaschistisches Engagement überschritten worden. Doch es geht noch dreister. Am 13. Februar 2012 wurde der Bundesvorsitzende des VVN-BdA, Dr. Heiner Fink, in Dresden nach dem Naziaufmarsch durch sächsische Polizisten kontrolliert.
Sie hatten Bilder aus der Kamera eines Wasserwerfers, der am 13. Februar 2012 auf die antifaschistischen Gegendemonstranten gerichtet war, mit Fahndungsbildern von den Protesten im vergangenen Februar 2011 in Dresden abgeglichen. Sie glaubten einen „älteren Herren mit VVN-BdA-Fahne“, nach dem wegen Teilnahme an den Blockaden gefahndet wird, in ihm wieder erkannt zu haben.
Die Berliner VVN-BdA erklärt dazu: „ Die Dresdner Polizei und Staatsanwaltschaft ergehen sich
in immer abenteuerlicheren und absurden Konstrukten und Anschuldigungen gegen
Antifaschistinnen und Antifaschisten. Noch ein Jahr nach den erfolgreichen Blockaden in
Dresden 2011 sucht der Ermittlungsapparat nach deren „Rädelsführern“. Aber nicht
Antifaschistinnen und Antifaschisten haben in Dresden den „Landfrieden“ gebrochen, sondern
die sächsische Politik und Polizei, die jeglichen Protest und Zivilcourage gegen rechts zu
kriminalisieren versucht. Die Sächsische Demokratie hat Nachhilfe bitter nötig.“
Dem ist hier nichts hinzuzufügen.
Derzeit wird davon ausgegangen, dass im Mai 2012 die Verfahren gegen die Betroffenen Blockiererinnen sowie die Beschuldigten „Landfriedensbrecher“ wieder aufgenommen oder eröffnet werden. Wir werden weiterhin darüber berichten.
Bewährte Strategien gegen Nazis jetzt auch im Kampf gegen Links
Endlich bewährt es sich, dass in Sachsen behördliche und teilweise auch zivilgesellschaftliche Interventionen gegen Neonazis seltenst mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung einher gingen, sondern in den meisten Fällen in guter Tradition sächsischer Demokratie ordnungspolitisch begründet und durchgeführt wurden. So gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen Nazi-Konzerte nicht etwa wegen ihrer menschenverachtenden Inhalte verboten wurden, sondern aufgrund formaler Mängel; etwa weil die Räumlichkeiten wegen unzureichendem Brandschutz nicht geeignet wären. Ähnlich sieht der Umgang der Stadt Leipzig mit dem Neonazizentrum in der Odermannstraße 8 aus. Nach zweieinhalb Jahren konsequenter Ignoranz wurde Anfang letzten Jahres nach öffentlichem Druck angekündigt, baurechtliche Verstöße „mit Nachdruck“ prüfen zu wollen. Bisher jedoch ohne erkennbare Folgen für die Nutzer_innen.
Genau dieser Ansatz wurde jahrelang im sogenannten Kampf gegen Rechts in Sachsen forciert, doch die Zeiten haben sich geändert. Bundesweit rückt der „Extremismus“ in den Fokus der Auseinandersetzung und wie so oft nimmt Sachsen hierbei eine traurige Vorreiterrolle ein.
Da die Bundesrepublik aktuell bekanntlich vor allem vom Linksextremismus bedroht wird, ist es naheliegend, dass dieselben Methoden nun auch gegen linke Projekte angewendet werden. Gerade das Landeskriminalamt hat offensichtlich nichts Besseres zu tun, als diverse Vermieter_innen, Gewerbe- und Bauaufsichtsamt auf Wohn- und Kulturprojekte anzusetzen. So wird aktuell eine Räumungsklage gegen das Löbtauer Wohnprojekt „Praxis“ vor Gericht verhandelt, das in der Vergangenheit mehrfach Ziel von Neonaziangriffen und -anschlägen war. Der Vorwurf ist hierbei altbekannt und bewährt: Mit öffentlichen Veranstaltungen sei gegen den Mietvertrag verstoßen worden, wobei explizit auf die Herkunft der Informationen von der Landeshauptstadt Dresden verwiesen wurde. Bei dem zweiten Kündigungsgrund wurde sich jedoch tatsächlich kreativ verausgabt: Mit Verweis auf eine Website, die die Angriffe auf das Haus dokumentierte, konstatierte man eine erhebliche Gefährdung der Bausubstanz, weil der Charakter als „Linkes Projekt“ diese provoziere. Wenige Wochen später dann der nächste Brief, diesmal vom Bauaufsichtsamt. Man habe mit öffentlichen Veranstaltungen gegen die Baugenehmigung verstoßen und müsse ein Gewerbe anmelden. Außerdem sei kein ausreichender Brandschutz gewährleistet. In Anbetracht des im August 2010 von Nazis verübten Brandanschlags auf das Haus, bei dem nur durch Glück niemand zu Schaden kam, eine sarkastisch anmutende Bemerkung. Die detaillierte Auflistung der Mängel legt die Vermutung nahe, dass das LKA die zuvor bei einer Razzia geschossenen Bilder weiterleitete. Dieses Beispiel ist dabei keineswegs ein Einzelfall. Das Hausprojekt RM16 in Pieschen ist in fast identischer Form von einer rechtlichen Auseinandersetzung betroffen, so dass dort ebenso zur Zeit keine Veranstaltungen stattfinden können.
Aber es bedarf nicht unbedingt des LKA: In Limbach Oberfrohna tut sich seit geraumer Zeit die gesamte Stadtspitze hervor im Kampf gegen linksalternative Projekte und engagierte Menschen. Nachdem der Infoladen Schwarzer Peter zuerst umziehen musste, weil die Besitzer_innen aufgrund wiederholter Neonaziangriffe kündigten, wurde die für den 08.07.2011 geplante Neueröffnung in einem neuen Gebäude untersagt, weil kein Antrag auf Nutzungsänderung vorlag. Vor allem die Hausbesitzer_innen werden von der Stadt unter Druck gesetzt, die damit versucht, jedes Engagement zu verhindern. Eine Eröffnung des Infoladens hat es bis heute leider nicht gegeben.
Besondere Mühe geben sich ebenfalls die Behörden in Burgstädt. Das Landratsamt hat im Februar 2012 einen Beschluss erwirkt, welcher eine Nutzungsuntersagung für die Räume des Freiraum e.V. beinhaltet und zur Folge hat, dass sowohl der Aufenthalt als auch die Duldung von Besuch in den Vereinsräumlichkeiten untersagt ist und bei Zuwiderhandlung mit mehreren Tausend Euro Bußgeld geahndet wird. Mit staatlicher Repression soll dem Ganzen Nachdruck verliehen werden. So werden in Grundstücksnähe Einsatzfahrzeuge der Polizei abgestellt, Personenkontrollen und Videoobservation durchgeführt.
Angesichts der weit verbreiteten Ignoranz gegenüber rechter Gewalt in Sachsen, der dreisten Schuldumkehrung bei Anschlägen auf linke Projekte und dem jahrelang unbemerkten Agieren von untergetauchten Rechtsterrorist_innen in Sachsen ist dieses politisch motivierte Vorgehen ein weiterer Schritt zum Erhalt des Status Quo in Sachsen – einem rassistischen, antisemitischen und sozialchauvinistischen gesellschaftlichen Klima. Gerade in Brennpunkten neonazistischer Gewalt haben Behörden offensichtlich nichts Besseres zu tun, als linke Jugendclubs zu schließen, oftmals die einzigen Orte, an denen überhaupt eine Auseinandersetzung mit dem Neonaziproblem stattfindet. Die konkreten Auswirkungen der staatlich forcierten Extremismusdoktrin werden dabei überdeutlich: Antifaschistisches Engagement wird kriminalisiert und auf Dauer verunmöglicht. Die sogenannten „guten“ Antifaschisten, die „demokratische Mitte“ und die Zivilgesellschaft ignorieren wie üblich die Repression und lassen die Betroffenen im Stich.
Es bleibt wieder einmal festzustellen: Antifaschistisches Engagement ist nicht kriminell, sondern extrem notwendig. Hierfür braucht es Treffpunkte, zu denen Nazis keinen Zugang haben und an denen alternative Kultur einen Platz findet.