Antwort auf Kleine Anfrage zu Verfahren nach §129 und §129a StGB in Sachsen
In der Antwort auf eine kleine Anfrage im sächsischen Landtag zur Ermittlungslage bezüglich §129 und §129a StGB in Sachsen wurden von der Landesregierung drei §129 Verfahren benannt gegen sogenannte linksextremistische Gruppierungen.
Zwei der Verfahren werden in Dresden geführt. Das sogenannte Antifa-Sportgruppen-Verfahren mit 23 Betroffenen und ein weiteres mit fünf Betroffenen. Bei letzterem handelt es sich wahrscheinlich um das „Gewalthandy-Verfahren“. Die Erstürmung des Pressebüros im Haus der Begegnung (HdB) von Dresden-Nazifrei am 19. Februar 2011 fand auf Grund eines abgehörten Handys statt, das in diesem Haus durch einen IMSI-Catcher geortet worden war. Von diesem Telefon sollen angeblich Straftaten gegen Neonazis organisiert worden sein im Rahmen der Proteste gegen den Neonaziaufmarsch am 19. Februar 2011. Es wurde jedoch nie gefunden. Nach der Einstellung der Verfahren gegen 21 Personen, die damals im HdB festgenommen wurden, erhielten einige wenige der Betroffenen neue Aktenzeichen, und es wurde weiter ermittelt.
Das dritte, bisher nicht bekannte Verfahren wird im Stadtgebiet Leipzig gegen 12 Personen geführt. Bisher gab es nur unbestätigte Gerüchte, da es intensivere Ermittlungen gegen die linke Szene in Leipzig seit einer Weile gibt. Nun haben sich diese leider bestätigt.
Insgesamt sind damit aktuell 40 Personen direkt von §129- Ermittlungen betroffen.
Wie sich an der jüngst ergangenen Einstellung in einem der Verfahren, nach vier Jahren Ermittlungstätigkeit gegen einen als „Rädelsführer“ geführten Beschuldigten – wegen „Geringfügigkeit“! (nach § 153 Abs. 1 StPO: „wenn… kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“) in aller Deutlichkeit zeigen lässt, besteht die Hauptmotivation derartiger Strafverfahren keineswegs in der Verfolgung tatsächlich begangener Straftaten. Die Ermittlungen haben vielmehr zum Ziel, die linke antifaschistisch engagierte Szene auszuspähen, mit dem weitgehendsten Instrumentarium, das Ermittlungen wegen „krimineller“ oder „terroristischer Vereinigung“ zu bieten haben (Postkontrolle, Telefonüberwachung, langfristige Observationen, systematischer Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern, Rasterfahndung, Großer Lauschangriff, Hausdurchsuchungen etc.).
Im Kern geht es darum, eine linke politische Szene und ihre Netzwerke zu durchleuchten und ein Bedrohungsszenarium aufzubauen, welches Einschüchterung zur Folge hat: Aktive sollen – unter dem Eindruck derart massiver Strafverfolgung für die Teilnahme an Anti-Nazi-Protesten – es sich dreimal überlegen, ob sie nicht besser die Finger davon lassen. Ein Gedanke, der bei einer Strafandrohung von immerhin bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht so fernliegend ist; insbesondere da den Betroffenen nicht einmal die Teilnahme an einer konkreten Straftat nachgewiesen werden muss, um sich plötzlich in der Rolle des/der Beschuldigten eines solchen Verfahren wiederzufinden.
Indem die sächsischen Behörden eine antifaschistische Linke mit Strafverfahren überzieht und in die Nähe von organisierter Kriminalität und Terrorismus rückt, sendet sie auch ein Signal an alle, die zwar nicht Beschuldigte dieses Verfahrens, aber in irgendeiner Art und Weise z.B. mit mit den Antinazi-Protesten rund um den 13. Februar verbunden sind oder sich sonst in ihrer Stadt antifaschistisch engagieren: Wer sich in Sachsen antifaschistisch betätigt, läuft leicht Gefahr, in die Fänge einer Justiz zu geraten, die diesbezüglich „nicht kleckert, sondern klotzt“; die große Geschütze auffährt, die normalerweise nur zum Einsatz kommen (sollen), wenn es um Organisierte Kriminalität (Menschhandel, Drogen, Waffen…) oder Terrorismus geht.
Das hat natürlich massiven Abschreckungscharakter; hier betreibt die Justiz – in krasser Überschreitung ihrer Befugnisse und unter eklatanter Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung – aktive politische Einflussnahme auf ein in Sachsen unerwünschtes politisches Lager, was nicht nur nicht zu ihrem Geschäftsbereich gehört, sondern schlicht verfassungswidrig ist.
Wenn also konkret zunächst „nur“ 40 Personen betroffen zu sein scheinen, muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Kreis der indirekt von Überwachung und Beobachtung Betroffenen sehr viel größer ist – gemeint ist die antifaschistische Linke als Ganzes.
Was auch nicht oft genug gesagt werden kann: Das hohe Überwachungsniveau, welches aus den Akten der Verfahren deutlich wird, mahnt zum sorgsamen Umgang mit Informationen. Passt auf, was ihr wann, wem und wo sagt! Eine unbedachte Äußerung, die irgendwo aufgeschappt und protokolliert wird, kann z.B. zur Ausweitung der Ermittlungen auf weitere Personen führen und damit ggf. konkrete persönliche Konsequenzen haben.
Verschlüsselt Eure Emails, verabschiedet Euch von Selbstpräsentierungs-Plattformen sog. sozialer Netzwerke!
Geheimnisse statt Profilierung, sichere Kommunikation statt Facebook!
Und nicht zu vergessen: Solidarität mit den Betroffenen, lasst sie nicht damit allein!