Auf der Suche nach dem „Leck“, aus dem das Schreiben des LKA Sachsen zum Einsatz eines IMSI-Catchers, in die Öffentlichkeit entwich, schrieben die Beamten die Chefredakteure aller Zeitungen an, die darüber berichtet hatten. Doch sie forderten keineswegs nur die Herausgabe des brisanten Papiers, das es vermocht hatte, den Innenminister zu blamieren – der hatte nämlich bis zuletzt den Einsatz eines solchen Gerätes dementiert. Wenn man als Schnüffler schon einmal dran ist, lässt sich vielleicht gleich noch mehr erfahren. Das Neue Deutschland berichtete dass das LKA ebenfalls Kontakte und Quellen von Journalisten abfragte. Sie sollten preisgeben, welche Dokumente und Informationen sie von wem bekommen hatten. Das ist bemerkenswert, zeigt es doch erneut mit welchem Verständnis von Grundrechten die Beamten des Landeskriminalamtes in Sachsen agieren. Doch wir setzen darauf, dass die Chefredakteure der „Vierten Gewalt“ wissen, solchen in die Pressefreiheit eingreifenen Vorstößen zu antworten: „Die Anfrage könne inhaltlich nicht beantwortet werden, schrieb ND-Chefredakteur Jürgen Reents ans LKA – mit Verweis auf Grundgesetz Artikel 5, der die Meinungs- und Pressefreiheit regelt und damit auch den Schutz etwaiger Informanten: Ein Grundsatz, ohne den es eine freie und unabhängige Berichterstattung nicht geben könnte.“ (ND) Auch die Dresdner Morgenpost werde nicht kooperiern. Selbst wenn, so der Chefredakteur gegengüber der taz „nicht auszuschließen sei, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft ‚jetzt auch noch in eine Redaktion einmarschiert'“.
Demokratie a la CDU – Wer nicht hören will, muss fühlen
Nach der Handydaten-Affäre will Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) eine Bundesratsinitiative für mehr Rechtssicherheit bei Funkzellenabfragen einleiten (§101 StPO). So sollen Funkzellenabfragen (FZA) örtlich und zeitlich so eingeschränkt werden, sodass Unbeteiligte besser geschützt werden. Am 19. Februar hatten die Dresdner Ermittler über eine Millionen Handydaten erfasst und daraus über 40.000 Bestandsdaten abgefragt (Name, Adresse, Geburtstag). Der Datenskandal sorgte für bundesweite Empörung.
In Sachsen kommt jedoch ein Skandal selten allein. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet ist nun der Dresdner Anwalt André Schollbach Ziel polizeilicher Ermittlungen. Schollbach klagte erfolgreich gegen die Razzia im „Haus der Begegnung“ und bekam Recht. Das Land Sachsen musste 5.000 € Entschädigung zahlen. Desweiteren vertritt der Anwalt zahlreiche BlockiererInnen vom 19. Februar, welche wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz Bußgelder zahlen sollen. Der Grund für die Ermittlungen gegen Stollbach: Er soll Ermittlungsakten öffentlich gemacht haben, die u.a. den Einsatz eines IMSI-Catchers am 19. Februar belegen sollen. Continue reading „Demokratie a la CDU – Wer nicht hören will, muss fühlen“
Einstellung 1 von 22 – Das Problem ist nicht aus der Welt!
Nach dem fragwürdigen „Auslandseinsatz“ sächsischer Polizeibeamter in Jena und der umstrittenen Hausdurchsuchung beim Jugendpfarrer Lothar König am 10. August, fand sich am Dienstag der Rechtsausschuss im Sächsischen Landtag zu einer Sondersitzung zusammen. Die Opposition verlangte Antworten.
Dabei teilte die Staatsanwaltschaft Dresden mit, dass das Ermittlungsverfahren nach §129 StGB gegen König seit 19. August vorläufig eingestellt ist und nunmehr „nur“ noch wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs gegen den Jenaer Pfarrer ermittelt werde. Schnell verbreitete sich diese scheinbar positive Meldung in der Öffentlichkeit. Doch was nach Einlenken der Staatsanwaltschaft anmutet, offenbart einmal mehr die Dreistigkeit, mit der in Sachsen derzeit gegen alle vorgegangen wird, die sich antifaschistisch engagieren. Continue reading „Einstellung 1 von 22 – Das Problem ist nicht aus der Welt!“
Fehler im Original
Der sächsische Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann hat den Offenen Brief von Jenas Oberbürgermeisters (OB) Albrecht Schröter (SPD) beantwortet. Gerichtet war der Brief zwar an den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislav Tillich, überstellt wurde er jedoch an die Generalstaatsanwaltschaft. Begründung: Es handelt sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren, daher ist der Ministerpräsident nicht zuständig – das gebiete die Gewaltenteilung. Fleischmann stellt klar, dass er keinen Ermittlungsfehler finden kann und zitiert hierfür fleissig diverse Paragrafen. Interessant sind vor allem seine Ansichten zum Thema zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechts. Nach seiner Auffassung gehören alle Menschen strafrechtlich verfolgt, welche sich nichtverbotenen Versammlungen mit friedlichen Mitteln in den Weg stellen.
„Ich pflichte Ihnen bei, nach meiner Ansicht ist jede Form von Extremismus mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen. Zu den demokratischen Mitteln gehört auch das Vorgehen der Polizei- und Justizbehörden gegen jedweden Extremismus, wenn dessen Vertreter die Grenzen von Recht und Gesetz überschreiten. Diese Grenzen haben aber auch die Gegner von Extremisten zu respektieren. Die Staatsanwaltschaften haben unter Zugrundelegung objektiver Kriterien ohne Ansehung der Person und ihrer etwaigen politischen Ausrichtung vorzugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn öffentliche Meinungskundgaben von Extremisten grundgesetzlich geschützt sind. Am 19. Februar 2011 waren die angemeldeten Demonstrationen aus dem rechten politischen Spektrum letztlich sogar vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht für zulässig erachtet worden und konnten nicht verboten werden. Damit genossen die Teilnehmer den Schutz des Artikels 8 Grundgesetz. Der Rechtsstaat muss auch die Ausübung des Versammlungsrechts durch Extremisten hinnehmen und diese letztlich notfalls durch die Polizei schützen. Gegendemonstranten müssen dies hinnehmen und ihrerseits Recht und Gesetz beachten.“
Fleischmann hat (natürlich) auch einen Antwort parat auf die die Sorgen des OBs, dass durch die massenhafte Erfassung von Handydaten NazigegnerInnen eingeschüchtert werden: „Die Funkzellenabfrage erfolgte im Gegenteil nur für Bereiche, in denen es zu Auseinandersetzungen im Ausmaß eines Landfriedensbruchs kam und auch nur für die Zeiträume, in denen diese Delikte andauerten.“ Im Zuge der Demonstration am 19. Februar wurden mehr als 40.000 Bestandsdaten (Name, Adresse, etc.) abgefragt. Es ist daher mehr als zynisch davon zu sprechen, dass friedliche DemonstrantInnen nichts zu befürchten hätten. Defacto haben die Ermittler eine riesige Datenbank von NazigegnerInnen anlegen können.
Au revoir la démocratie
Die Reaktion auf dem Offenen Brief des Jenaer Oberbürgermeisters Albrecht Schröter (SPD) kam schneller als gedacht. Ein Mitarbeiter der sächsischen Staatskanzlei leitete den Brief an die Generalstaatsanwaltschaft weiter, weil „es der Grundsatz der Gewaltenteilung [gebietet], dass der Offene Brief von Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann beantwortet wird, weil darin das Vorgehen der Ermittlungsbehörden in einem offenen Verfahren kritisiert wird“, so die DNN in ihrer heutigen Ausgabe. Weiterhin wird ausgeschlossen das Stanislav Tillich die Einladung Schröters zu einer Diskussionsveranstaltung nach Jena annehmen werde.
In der sächsischen Regierungskoalition schiebt man sich inzwischen die Verantwortung für die „Jenaer Ungereimtheiten“ gegenseitig zu. Der CDU-Rechtsexperte Marko Schiemann fordert von der Justiz umfassende Aufklärung zur Durchsuchung bei König und forderte von FDP Justizminister Martens Klarstellung und ein Ende des „Durcheinander“.
Die Sächsische Zeitung bietet heute CDU Fraktionsvorsitzenden Steffen Flath Platz die in den vergangenen Tagen fast schon aus den Augen verlorene „Handy-Affäre“ zu rechtfertigen und Kritik als ungerechtfertigt und demokratiegefährdend zurückzuweisen. Dabei verweist er darauf, dass gegen Straftäter ermittelt werden müsse, egal was deren politische Ziele wären. Der Opposition wirft er vor, dieses rechtsstaatliche Prinzip mit ihrer Kritk am Vorgehen der Ermittlungsbehörden zu verletzen und so auf Anarchie hinzuarbeiten und „mit ihrer unerträglichen Verbalradikalisierung“, „Gewaltausbrüche gegenüber Vertretern des staatlichen Gewaltmonopols“ zu befeuern. Die Polizei nimmt Flath gegen Vorwürfe in Schutz und beklagt, dass man ihnen „alle Instrumente aus der Hand“ nähme und „ihre Arbeit kriminalisiert“.
Trotz der anhaltenden demokratischen Kälte in Sachsen werden wir heute Abend (ab 22.00 Uhr) ins Schwitzen kommen. Im Kulturzentrum „Scheune“ (Alaunstraße 36-40, 01099 Dresden) legen u.a. Igor Kapiza (follow the white rabbit), Fliers (DieSeR – independent club) und Electric Evelyn (spaghetti disco) auf. Kommt vorbei und tanzt für eine emanzipatorische Gesellschaft!
Extra: Merchandise Stand (Buttons, Beutel und T-Shirts)